Xylobionte Käfer
Holz war im mitteleuropäischen Raum unter den natürlichen Verhältnissen einer Wald-Urlandschaft das allgegenwärtigste organische Substrat. Vor diesem Hintergrund ist verständlich, dass etwa ein Viertel (ca. 1378 Arten nach Schmidl & Bussler 2004) aller in Mitteleuropa nachgewiesenen Käferarten an diesen Lebensraum angepasst ist. Durch den Strukturreichtum und die vielfältigen Zersetzungszustände ergibt sich in Totholz für ein breites Spektrum von Lebensformen (Holz- und Rindenfresser, Holzpilzbesiedler und Pilzmyzelfresser, Baumsaftlecker und Höhlenbrüter, Baummulmbewohner und spezialisierte Räuber, etc.) eine große Zahl ökologischer Nischen.
Käfer spielen sowohl hinsichtlich des natürlichen Abbaus von Totholz als auch in der Schaffung von Sekundärstrukturen (z.B. Bohrgänge, Mulm) eine dominante Rolle. Sie bereiten das Substrat für eine Besiedlung durch weitere Tiergruppen (z.B. Hautflügler!) auf und tragen durch einen hohen Spezialisierungsgrad und ihre oft spezifischen Besiedlungsabfolgen wesentlich zu den sehr komplexen ökologischen Beziehungsgefügen totholzreicher Baumbestände bei.
Als xylobionte Käfer werden diejenigen Arten definiert, die sich während des überwiegenden Teils ihrer individuellen Lebensspanne am oder im Holz jeglicher Zustandsformen und Zerfallsstadien einschließlich der holzbewohnenden Pilze aufhalten. Man teilt die Arten nach ihrer speziellen Einnischung Substrat- und Sukzessions-bezogen in folgende ökologische Gilden ein (Schmidl & Bussler 2004): * Frischholzbesiedler: Besiedler lebender Holzpartien, die Belegung des Substrats erfolgt -abhängig von der Holzfeuchte- bis ca. ein Jahr nach Absterben des Gehölzes. * Altholzbesiedler: Besiedler von seit längerer Zeit abgestorbenem Holz (Altholz, Moderholz, Holzhumus). * Mulmhöhlenbesiedler: Besiedler von zu Mulm zersetztem Holzmaterial im Inneren noch fester Holzstrukturen (Mulmhöhlen, Kernfäulen etc. in anbrüchigen und abgestorbenen Bäume). * Holzpilzbesiedler: Besiedler von verpilzten Holzteilen oder ausschließlich auf Holz wachsenden Pilzfruchtkörpern. * Xylobionte Sonderbiologien: Baumsaftfresser, Kommensalen, Schmarotzer, Chitin-, Leichen- und Kotfresser in Nestern und Brutgängen anderer holzbesiedelnder Insekten, Baumphytotelmen-Besiedler u.a.
Unter den xylobionten Käfern gibt es hohe Anteile von gefährdeten und vom Aussterben bedrohten Arten (Schmidl & Büche 2017), die durch den Mangel an geeigneten und ausreichenden Totholzstrukturen aus unseren Wäldern verdrängt werden. Manche dieser Arten finden wir heute fast nur noch in Urwald-ähnlichen Beständen, insbesondere die sogenannten Urwaldreliktarten (UWR): Unter Urwaldrelikt-Arten D verstehen wir (Müller et al. 2005) Arten, die innerhalb des Gebietes von Deutschland (D) folgenden Kriterien entsprechen: * Nur reliktäre Vorkommen im Gebiet. * Bindung an Kontinuität der Strukturen der Alters- und Zerfallsphase bzw. Habitattradition. * Hohe Ansprüche an Totholzqualität und -quantität. * Populationen in den kultivierten Wäldern Mitteleuropas verschwindend oder ausgestorben.
Auch einzelne alte Bäume in Städten oder Siedlungen, in Parks und Obstbaumgürteln um Dörfer können noch "Urwaldreliktarten" in sich tragen, da ihre lange Lebensspanne oft zurückreicht in Zeiten, in denen es in ihrem Umfeld viele weitere alte Bäume mit wertgebenden Totholzstukturen gegeben hat. Für solche Einzelbäume tut Vernetzung mittels Neupflanzungen von Stieleiche, Linde etc. (keine Exoten wie Robinie, Roteiche o.ä.!!!) not!
Literatur:
Müller J, Bense U, Brustel H, Bussler H, Flechtner G, Fowles A, Kahlen M, Möller G, Mühle H, Schmidl J, & Zabransky P 2005: Urwald relict species – Saproxylic beetles indicating structural qualities and habitat tradition / Urwaldrelikt-Arten: Xylobionte Käfer als Indikatoren für Strukturqualität in Verbindung mit Habitattradition. Waldoekologie-online 2: 106-113.
Schmidl J & Bussler H 2004: Ökologische Gilden xylobionter Käfer Deutschlands und ihr Einsatz in der landschaftsökologischen Praxis – ein Bearbeitungsstandard. - Naturschutz und Landschaftsplanung 36 (7): 202-218.
Schmidl J & Büche B 2017. Die Rote Liste und Gesamtartenliste der Käfer (Coleoptera, exkl. Lauf- und Wasserkäfer) Deutschlands im Überblick (Stand Sept. 2011). Naturschutz und Biologische Vielfalt 70(4), Bundesamt für Naturschutz, im Druck.